Diversität – anders gleich

Es ist früh. Um nicht zu sagen extrem früh. Ich hatte einen Grund, so zeitig mein Bett zu verlassen. Das ist jetzt erledigt … und ich könnte mich wieder hinlegen und noch mindestens drei Stunden schlafen. Könnte! Aber ich kenne mich. Ich würde nicht schlafen. Ich würde tausend Gedanken bewegen. Mich hin und her drehen. Vielleicht dann doch wieder aufstehen. Ich bin einfach noch zu aufgewühlt. Also bleibe ich besser gleich wach. Nur was mache ich um diese Uhrzeit? Aufräumen, Abspülen oder Wäsche waschen würde zwar müde machen, steht aber komplett außer Frage. Nicht nur, weil ich keine Lust drauf habe, auch weil ich schlafende Leute im Haus wecken würde. Ich könnte ja auch über morgen nachdenken. Was so vor mir liegt. Was ich nicht vergessen darf. Doch dafür ist mein Kopf, glaube ich, nicht wach genug. So zerzählt die Uhr die Nacht gefühlt etwas zu laut und ich sitze hier und weiß nicht so recht.

Mein Blick fällt auf das Bild an der Wand hinter dem großen Tisch. Ich habe es vor einigen Jahren gemalt. Manchmal, wenn ich es anschaue – oder auch häufiger – stoßen mir noch die negativen Umstände auf, die der Ort, an dem ich es malte, hervorbrachte. Das ist schmerzhaft. Immer noch! Immer wieder! Keine Ahnung, wie lange das anhalten wird. Verrückterweise hilft mir aber genau dieses Bild dabei, das saure Aufstoßen zu neutralisieren.

Diversität, 2015 (Acryl auf Leinwand, 120x80cm)

Jetzt hab ich Zeit mich zu erinnern. An das Schöne und an das Hässliche. In dieser nächtlichen Ruhe geht das besser als im Gewühl des Alltags. Leider ist mir das Schwere und Kalte im Moment viel präsenter als das andere. Da ist so viel kaputt gegangen! Um ein Haar auch ich. Nie war ich mir vorher so klar darüber, zu was Menschen in der Lage sein können – nur um ihr Ziel oder ihr Ideal erreichen zu können. So dunkel!

So dunkel wie die Grundierung der Leinwand, die ich damals auswählte. Es musste dunkel sein für das, was mir vorschwebte. Zu der Zeit wusste ich noch nichts von den Gewitterwolken, die – aus der Rückschau betrachtet – definitiv schon unterwegs waren. Alles schien noch hell und klar. Nicht, dass das Licht dann verschwunden wäre! Nein! Es war immer da. Nur war es zwischendurch schwer in Bedrängnis geraten. Oder nein! Nicht das Licht. Nur ich und meine Wahrnehmung. Ich musste zeitweise wirklich aufpassen, dass ich das Licht nicht verlor.

Aber noch nicht, als das Bild entstand. Da habe ich das Licht leuchtend weiß mitten hinein gesetzt. Und es versprüht Funken in das große Dunkel. Erhellt die Unruhe. Und das ganz Besondere: die Stahlen und Funken bringen auch Teile des Dunkels zum Leuchten. In Regenbogenfarben. Überall bricht sich das Licht anders. Es ist wie eine Farbexplosion – so viel Besonderes, Einzigartiges, Schönes. Doch nie und nirgendwo anders als in der Mitte ist es so rein und klar zu sehen. Alles hat noch einen Hang zum Dunklen. Und doch ist alles Bunte vom Licht ergriffen und kann nur durch das Licht existieren.

Die herrliche Vielfalt besänftigt mich. Wer bin ich, dass ich mich über andere erhebe? Sie verurteile? Wozu bin ich vielleicht in der Lage, wenn es aus meiner Perspektive hart auf hart kommt? Wenn Dinge scheinbar so ganz anders laufen als geplant? Ist nicht häufig mein Blick auf verschiedene Personen und Situationen ebenfalls sehr einseitig? Und übersehe ich nicht oft genug andere in meinem Umfeld? Wir Menschen sind uns in vielem doch so ähnlich, nur anders! Und dann wieder so unterschiedlich. Bunt und originell! Und die Welt um uns herum ist doch schon dunkel genug. Also möchte ich weder anderen noch mir selbst das Leben schwerer machen.

Sicher braucht es Zeit, vielleicht sehr viel Zeit, bis die Wunden verheilt sind. Doch ich will das Licht in der Mitte im Blick behalten. Und leuchten. In meiner Farbe. Und dem Dunkel zeigen, wozu das Licht fähig ist. Vielleicht wird ja dann noch mehr so wunderbar bunt.

Die erlösende Nachricht ist endlich da! Jetzt bin ich beruhigt. Und möglicherweise sogar müde genug, um die noch übrigen zwei Stunden zu schlafen.


Ich wünsche Dir, dass du gut durch herausfordernde Zeiten kommst. Und dass Du das Licht nicht aus dem Blick verlierst und auch nicht Dein eigenes besonderes Leuchten. Weil du nur so die herrlichen Farben um Dich herum wahrnehmen und verstehen kannst.

Wir lesen uns,

Nel


P.S.: Hier geht’s zu meiner kleinen Galerie. Schau gerne mal vorbei.

2 Kommentare zu „Diversität – anders gleich

  1. Liebe Nel, danke für deine Gedanken – sie passen so gut und wecken meinen Geist, sich mit dem Thema der Wahrnehmung meiner Gefühle und Umgebung zu befassen! Danke für die Anregung! Liebe Grüsse vom Morgenkaffee im „noch“ ruhigen Raum 🙂

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    1. Liebe Simone, freut mich sehr, dass meine Wort- und Farb-Wirbel auch für andere inspirierend sein dürfen. Dir viel Kraft für den Alltagstrubel nach dem Morgenkaffee 😊

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