Wenn ich’s jetzt nicht aufschreib‘, werd‘ ich noch verrückt!

Gestern kam meine Tochter aus der Schule und erzählte von einer Mitschülerin. Wir nennen sie an dieser Stelle Mirjam. Die kommt ursprünglich aus einer wirtschaftlich sehr schwachen Familie in einem extrem aggressiven Umfeld. Als das Mädchen elf war, trafen die Eltern eine schwere Entscheidung: Sie wussten, dass ihre Tochter weder sicher war noch der Armut entkommen würde, wenn sie bei ihnen blieb. So vertrauten sie Mirjam einer befreundeten Familie an, die Mittel und Möglichkeiten hatte, mit Mirjam in eine bessere Gegend umzuziehen.

Für diese Familie war Mirjam wie eine eigene Tochter, doch nach einem Jahr erlebten sie an dem neuen Ort selbst sehr große Herausforderungen, denen sie Mirjam nicht aussetzten wollten. So fanden sie für das Mädchen einen Platz in einer betreuten Jugend-WG. Mirjam wusste sich dort sicher und gut aufgehoben. Sie fand Freunde und legte in der Schule einen gewaltigen Ehrgeiz an den Tag – mit Leistungen, die sich wirklich sehen lassen können. Seit vier Jahren nun. Sie wollte studieren, in der Hoffnung, ihren Eltern irgendwann etwas von dem zurückgeben zu können, was die ihr ermöglicht haben.

Dann kam der Schock: Sie müsse die Stadt verlassen. Die Stadt könne sich diese Betreuung nicht mehr leisten. Es wären zu viele, die solche Hilfe benötigten. Und es gäbe Indizien, die darauf hinweisen, dass eine andere Stadt zuständig wäre.

Die Lehrer an der Schule kämpften für sie … und verloren. Gestern wurde Mirjam in Polizeigewahrsam genommen und am Sonntag soll sie in die andere Stadt gebracht werden, von der jeder weiß, dass die es sich noch viel weniger leisten kann, dem Mädchen oder irgendjemandem sonst auch im Entferntesten eine ähnliche Betreuung und Versorgung zukommen zu lassen.

Ein Fall von so vielen hier. Das macht mich wütend. Und traurig.

Wer oder was gibt uns Menschen das Recht, so miteinander umzugehen? Andere hin- und herzuschieben wie Figuren in einem Spiel?

Vielleicht wäre es Mirjam anders ergangen, wenn sie hier geboren wäre. Vielleicht. Aber Mirjams Eltern wohnen in Eritrea. Mirjam kam übers Mittelmeer nach Europa. Ihr Rettungsschiff fuhr damals einen italienischen Hafen an. Darum soll Italien jetzt für sie zuständig sein. Sie hatte vor fünf Jahren im Schutz der befreundeten Familie eine ihr so fremde Sprache und Kultur erlernen müssen – und das genial gemeistert. Wie wird es ihr wohl in den nächsten Wochen und Monaten und Jahren ergehen?

Möge es immer Menschen geben, die ihr helfen, die sie in den Arm nehmen und einfach für sie da sind.

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