Mensch unter Menschen

„Mama, heut morgen in der Schule, da war der Manan ganz traurig. Seine Mama war auch da. Die hat erklärt, dass sie umziehen müssen. In die Hauptstadt. Die werden GEZWUNGEN! Dabei wohnen die doch schon so lange hier. Dann hat sie geweint.“

Meine Tochter ist sichtlich mitgenommen von dem Ereignis. Vor ein paar Wochen war es ein anderer Schulkamerad. Der musste auch nur knapp hundert Kilometer weit umziehen. Aber sie macht sich Gedanken. „Hoffentlich geht es dem Omar gut. Und dem Manan auch. Hoffentlich finden die schnell Freunde. Die waren doch auch meine Freunde.“ Und dann weint sie. „Heute war so ein blöder Tag.“

„Mama? Können die uns auch zwingen, hier weg zu ziehen? Wir sind doch auch nicht von hier. Wir sind doch auch erst kurz da …“

Jetzt kommen mir die Tränen.

Wie erkläre ich, dass es bei uns anders ist? Wie erkläre ich den politischen und wirtschaftlichen Unterschied zwischen diesen Menschen und uns Menschen? Wieviel Wahrheit verkraftet sie mit ihren noch lange nicht zehn Jahren?

Für Omar und Manan und ihre Eltern sind es nicht nur die Freunde, die sie zurück lassen. Erlaubt sind 25 Kilogramm Umzugsgepäck pro Person. Das ist höchstens ein Koffer voll. Kleidung ist das Wichtigste, sicher. Aber wie viele Erinnerungsstücke passen da wohl noch rein? Und was ist mit Spielzeug? Das Fahrrad, das von einem Verein geschenkt wurde? Oder die Winterkleidung und Schuhe, die sie erst kürzlich von einer kirchlichen Organisation bekommen haben? Der Kinderwagen für das kleine Geschwisterchen? …

Immerhin, sie bleiben (vorerst) noch hier im Land. Kennen die Sprache und das Sozialsystem, den Arbeitsmarkt und alle Vorgänge. Nicht alle haben das „Glück“ …

Ich weiß, es gibt höhere Instanzen, übergreifendere Notwendigkeiten, größere Wahrheiten und all das. Darin kenne ich mich zu wenig aus. Und Entscheidungen werden mit einem bestimmten Grund getroffen. Das zu beurteilen ist eine ganz andere Sache. Dennoch fehlt mir in diesen Prozessen die Menschlichkeit.

Mir ist klar, dass ich kaum etwas an dem großen Ganzen ändern kann. Aber hier vor Ort, da möchte ich helfen. Mit einem Lächeln und einem Gruß die traurigen und besorgten Gesichter aufhellen. Ein paar Worte wechseln. Mit den Kindern spaßen. Bei Bedarf auch mal konkret da sein, wenn es nötig ist: Formulare, Behörden, Kontakte vermitteln … Soweit es mir eben als Mutter von einer großen Rasselbande selber möglich ist.

Wer weiß, wieviel Zeit mir dafür bleibt?

Ich wünsche mir, dass Familien wie die von Manan und Omar immer auch von einem Hoffnungsschimmer getragen sein dürfen. Hoffnung, dass sie nicht allein sind. Hoffnung, dass jemand ihre Sorgen mitträgt. Hoffnung auf Mit-Menschen, wo auch immer sie sind. Hoffnung als lebenserhaltendes Licht. Gerade jetzt.

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