Reifezeit

Den richtigen Moment finden.

Lasse ich beispielsweise Obst nicht richtig reif werden, bevor ich es esse, dann ärgere ich mich vermutlich hinterher. Bringe ich dagegen etwas Geduld auf und warte auf den richtigen Zeitpunkt, dann tue ich mir in mehr als einer Hinsicht Gutes. Dasselbe gilt für so viele Dinge. Für jede Art von Lebensmitteln – logisch. Aber nicht nur: Beziehungen, Reisen, Lebensentscheidungen, … – auch die Wahl der nächsten Lektüre, oder ein bestimmtes Projekt. Sogar dieser Text „wollte“ bei den ersten Versuchen noch nicht so richtig das werden, was ich mir gedacht hatte.

Für manches muss ich erst „reif genug“ sein, für anderes müssen sich die Umstände richtig entwickelt haben.

Nur gehört Geduld offensichtlich nicht (mehr?) unbedingt zur menschlichen Grundausstattung. Schnell muss es gehen und jederzeit. Man könnte ja etwas verpassen: Das eine brauche ich ganz dringend. Das andere will ich am besten schon vorgestern erledigt haben. Dann muss ich dies noch erreichen und jenes unbedingt absolvieren. Pläne, To-Do-Listen, Zielsetzungen, Zeitoptimierung, …

Bis einen das Leben selbst abbremst. Manchmal zwingen uns ungeplante Zwischenfälle, einen Gang runter zu schalten. Das ist frustrierend! Vielleicht fehlt mir die Kraft, all das zu erledigen, was ich doch vorher immer geschafft habe. Oder es fehlen die Mittel, wichtige Anschaffungen so schnell voranzubringen, wie es eigentlich gedacht war. Oder es liegen plötzlich zu viele Steine im Weg, Türen sind verschlossen, und es erscheint unmöglich, das geplante Ziel zu erreichen.

Enttäuschung. Wut. Verzweiflung. Selbstzweifel. Schuldzuweisungen. Ich könnte sicher versuchen, die Früchte – um im Bild von oben zu bleiben – trotzdem irgendwie zu kriegen. Aber ob mir das wirklich guttut?

Ich könnte aber auch – da die Zeit sowieso nun anders zu laufen scheint – die Gelegenheit nutzen, und mir die Pflanze genauer anschauen, vieleicht düngen oder umplatzieren. Oder ich könnte mich währenddessen andereren Pflanzen zuwenden.

Was meine ich damit?

Überrschende Ereignisse und Krisensituationen geben meist nicht nur Anlass für Frust, sondern oft auch die Möglichkeit zum Durchatmen und Neu-Denken. Veränderungen bergen die Chance für einen Perspektivwechsel. Wir können lernen, Situationen und Menschen neu zu sehen, Herausforderungen von einer neuen Seite zu betrachten und anzugehen. Alte Ziele sterben vielleicht, aber möglicherweise warten neue Träume schon hinter der nächsten Ecke.

Ich will damit nichts schönreden. Manches haut uns so aus der Bahn, dass uns das Hören und Sehen vergeht. Dann brauchen wir lange, bis wir uns davon erholt haben. Vielleicht erholen wir uns ja aber auch gar nicht wirklich davon, und wir müssen uns mit der neuen Situation arrangieren.

Genau das ist mein Punkt: Die Ziele, Wünsche, Hoffnungen, Träume die wir haben, wohnen nicht ohne Grund in uns. Sie helfen uns, vorwärts zu gehen, einen Sinn in Dingen zu sehen, uns nach etwas Größerem auszustrecken. Doch manche werden absterben, bevor wir das Ziel erreicht haben. Sie werden nicht reif. Manche verwandeln sich im Laufe der Zeit. Andere scheinen für lange Zeit tot, bevor sie plötzlich doch wieder zum Leben erwachen. Und wieder andere entstehen ganz unerwartet. Vielleicht auch fast unsichtbar, wenn wir nicht manchmal einen Moment innehalten und eine „Bestandsaufnahme“ machen. Mal träumen. Spinnen. Was wollte ich früher mal? Wo stehe ich diesbezüglich jetzt? Was würde ich mit mir und meinem Leben anstellen, wenn es absolut keine Einschränkungen gäbe? Was davon lässt sich innerhalb der bestehenden Einschränkungen umsetzen? Was könnte ich tun, damit Dinge besser werden? – Für mich, für meine Lieben, für meinen Ort, für die Welt, …

Ich weiß, das klingt übertrieben. Aber ein bisschen rumspinnen darf man doch. Und möglicherweise entdeckt man ja plötzlich ganz neue Träume, die nur darauf warten, reifen zu dürfen.


Bei meinen Schreib- und Kreativprojekten läuft es oft genau so.

Ich habe viele Ideen für Geschichten, die ich gerne schreiben möchte. Neue Situationen und Herausforderungen in meinem Alltag und Umfeld sorgen gern auch für neue. Welche davon es wirklich schaffen zu Ende zu reifen, kann ich nicht sagen. Ich weiß nur, wann eine Idee reif dafür ist, etwas ausführlicher aufgeschrieben zu werden. Bisher war es jedes Mal so, dass die Projekte dann innerhalb von ein paar Monaten auf ungefähr 30K Wörter angewachsen sind, bis die Geschichte grundsätzlich stand. Das ist knapp die Hälfte von dem Umfang, den ich für das Endergebnis anstrebe.

Aber dann war Schluss! Die Geschichte stand nicht nur, sie stand still. Es „wollte“ einfach nicht weiter fließen. Anfangs suchte ich die Schuld bei mir. So viele Schreibratgeber meinen ja, bei der Hälfte würde es immer schwer und man müsse da unbedingt dranbleiben. Sicher haben sie auch irgendwie recht. Für mich stimmte es so nicht. Ich habe mich abgekrampft und viele leere Worte geschrieben und wieder gelöscht, bevor mir klar wurde, dass eigentlich erst ein paar Überlegungen in mir (und damit sowohl ich als auch die Geschichte) reifen müssen, bevor ich weiterschreiben konnte.

Manchmal braucht es Mut, Dinge unfertig liegen zu lassen, bis die richtige Zeit für die Fertigstellung kommt. Manchmal zwingen auch äußere Umstände zur Pause. Aber in jedem Fall arbeitet der Kopf bewusst und unbewusst weiter und plant, wie das Ziel erreicht werden kann. So mussten zwar meine Grundgeschichten eine Weile ruhen. Doch beim Verarbeiten von Erlebnissen und Beobachtungen in meinem Alltag spann mein Kopf auch die Fäden der Geschichte weiter, so dass sie schließlich sowohl vom Umfang her als auch in Sachen Inhalt und Spannung vollständig und rund wurde.

Inzwischen liegen einige angefangene, halbfertige und auch fertiggeschriebene Projekte bei mir auf dem PC. Vielleicht gibt es demnächst hier im Blog mehr zu meinen diversen Projekte in ihren unterschiedlichen „Entwicklungsstufen“. Einen ersten ganz-kurz-und-knapp-Abriss für drei meiner Schreibprojekte findest Du hier.

Und falls Du in den letzten Wochen mal ein Auge auf meine Posts bei Facebook hattest, wirst Du vielleicht bemerkt haben, dass gerade auch in Sachen Acrylmalerei bei mir einiges gereift ist. Das kam ganz plötzlich und Schlag auf Schlag. Die Intensität hatte selbst mich überrascht. In meiner Bildergalerie kannst Du bereits einige Ergebnisse sehen. Aber dazu mehr im nächsten Artikel.

Bis dahin Dir alles Liebe und gutes Reifenlassen.

Wir lesen uns,

Nel

Ein Kommentar zu „Reifezeit

  1. Liebe Nel, vielen Dank für deinen Beitrag und Anregung über den persönlichen „Reifeprozess“ nachzudenken. Das macht Mut, mal innezuhalten und Dinge neu oder mit „Abstand“ zu überdenken. Oder dann auch die Reife anzunehmen und den Prozess zu „wagen“!…

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